27. Februar 2019 / Lokalnachrichten aus Bielefeld

Hunderttausende neue Galaxien entdeckt

Bielefelder Forscher beteiligt

Durch LOFAR haben die Forschenden herausgefunden, dass der Galaxienhaufen Abell 1314 durch die Verschmelzung mit einem anderen Haufen entstanden ist. Abell 1314 ist 460 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt. Bild: Amanda Wilber/LOFAR Surveys Team

Ein internationales Team von mehr als 200 Astronominnen und Astronomen aus 18 Ländern hat die erste Karte einer Himmelsdurchmusterung von bisher unerreichter Empfindlichkeit mit dem Radioteleskop „Low Frequency Array“ (LOFAR) veröffentlicht. Die Karte enthüllt Hunderttausende unbekannter Galaxien und wirft ein neues Licht auf Forschungsgebiete wie Schwarze Löcher, interstellare Magnetfelder und Galaxienhaufen. Eine Sonderausgabe der Fachzeitschrift „Astronomy & Astrophysics“ widmet sich 26 Forschungsarbeiten, in denen die ersten Ergebnisse der Durchmusterung beschrieben werden. Die Universität Bielefeld ist am Betrieb eines der 51 LOFAR-Antennenfelder beteiligt, die über ganz Europa verteilt sind. Repräsentant Deutschlands beim Steuerungsgremium von LOFAR ist Professor Dr. Dominik Schwarz von der Universität Bielefeld. Der Physiker und seine Arbeitsgruppe erforschen die Entstehung und die Entwicklung des Universums.

LOFAR (Low Frequency Array) ist ein riesiges europäisches Netzwerk von Radioteleskopen, die über ein Hochgeschwindigkeits-Glasfasernetz miteinander verbunden sind und deren Messsignale zu einem einzigen Signal kombiniert werden. Leistungsstarke Supercomputer verwandeln mehr als 100.000 Einzelantennen in eine virtuelle Empfangsschüssel mit einem Durchmesser von 1.300 Kilometern. LOFAR arbeitet in den bisher weitgehend unerforschten Frequenzbereichen zwischen etwa 10 bis 80 Megahertz (MHz) und 110 bis 240 MHz. Es wird von der Forschungseinrichtung ASTRON in den Niederlanden betrieben und gilt als das weltweit führende Teleskop seiner Art. In Deutschland befinden sich sechs Messstationen, die von verschiedenen wissenschaftlichen Einrichtungen betrieben werden. Eine davon steht in Norderstedt und wird von der Universität Bielefeld und der Universität Hamburg gemeinsam betreut. Radioastronomische Beobachtungen erlauben die Untersuchung von kosmischen Prozessen, die man mit optischen Teleskopen nicht sehen kann. 

Hier sind die wichtigsten Ergebnisse in sechs Punkten. 

Die neue Himmelskarte
Mit Hilfe von LOFAR haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine neue Himmelskarte erstellen können. Viele der dort abgebildeten Galaxien waren bisher unbekannt, da sie extrem weit entfernt sind. Ihre Radiosignale müssen Milliarden von Lichtjahren zurücklegen, um die Erde zu erreichen. „Diese Karte verwenden wir nun, um die Entstehung und Entwicklung der größten Strukturen im Universum besser zu verstehen“, sagt Professor Dr. Dominik Schwarz von der Universität Bielefeld, Repräsentant Deutschlands beim Steuerungsgremium von LOFAR.

Qualitativ hochwertige Bilder
Die Erstellung von Radiohimmelskarten mit niedriger Frequenz bedarf sowohl beträchtlicher Teleskop- als auch Rechenzeit und erfordert die Analyse der Daten durch große Teams. „LOFAR produziert verrückte Datenmengen ‒ wir müssen das Äquivalent von zehn Millionen DVDs verarbeiten. 
Dies stellt höchste Ansprüche an Soft- und Hardware und ist nur durch ein internationales und interdisziplinäres Team möglich“, sagt Dominik Schwarz.
„Wir haben in Deutschland mit dem Forschungszentrum Jülich zusammengearbeitet, um die riesigen Datenmengen effizient in qualitativ hochwertige Bilder umzuwandeln“, ergänzt Professor Dr. Ralf-Jürgen Dettmar von der Ruhr-Universität Bochum. „Diese Bilder sind nun öffentlich und werden Astronominnen und Astronomen die Möglichkeit geben, die Entwicklung von Galaxien in bisher unerreichter Detailgenauigkeit zu untersuchen.“
Das Forschungszentrum Jülich beherbergt 15 Petabyte an LOFAR-Daten. „Dies ist fast die Hälfte aller LOFAR-Daten, eine der größten astronomischen Datensammlungen der Welt. Die Verarbeitung dieser gigantischen Datensätze stellt eine große Herausforderung dar. Was normalerweise auf herkömmlichen Computern Jahrhunderte gebraucht hätte, konnte durch die Verwendung innovativer Algorithmen und extrem leistungsfähiger Computer auf ein Jahr reduziert werden.“, sagt Professor Dr. Dr. Thomas Lippert, Institutsleiter des Jülich Supercomputing Centre. Jülich ist eins der drei Datenzentren des LOFAR-Projekts. Außerdem managt das Jülich Supercomputing Centre den Daten-Netzwerkverkehr zwischen den deutschen LOFAR-Stationen und zum zentralen LOFAR-Rechner in Groningen.

Schwarze Löcher
Wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit einem Radioteleskop den Himmel beobachten, ist hauptsächlich Strahlung aus der Umgebung von Schwarzen Löchern zu sehen, die Millionen Mal schwerer sind als die Sonne. „Mit LOFAR wollen wir herausfinden, welchen Einfluss die Schwarzen Löcher auf die Galaxien haben, in denen sie sitzen“, sagt Professor Dr. Marcus Brüggen, Astrophysiker von der Universität Hamburg. 
Wenn Gas auf Schwarze Löcher fällt, stoßen sie Materialstrahlen ‒ sogenannte Jets ‒ aus, die bei Radiowellenlängen sichtbar sind. Aufgrund der bemerkenswerten Empfindlichkeit von LOFAR konnten die wissenschaftlichen Teams jetzt zeigen, dass diese Jets in jeder riesigen Galaxie vorhanden sind und dass Schwarze Löcher ständig wachsen.

Magnetfelder
Mit der Radiostrahlung, die LOFAR empfängt, können zudem kosmische Magnetfelder gemessen werden. So haben die Forscherinnen und Forscher aus Deutschland die Magnetfelder in Galaxien und zwischen Galaxien kartiert. Dabei konnten sie zeigen, dass sich zwischen Galaxien enorme magnetische Strukturen befinden. Dies bestätigt theoretische Vermutungen, konnte bislang aber nicht nachgewiesen werden.

Galaxienhaufen
Durch die Verschmelzung zweier Galaxienhaufen werden Radioemissionen ‒ sogenannte Radiohalos ‒ mit einer Größe von Millionen von Lichtjahren erzeugt, wie Dr. Amanda Wilber von der Sternwarte der Universität Hamburg erläutert: „Radiohalos werden von extrem schnellen Elementarteilchen hervorgerufen. Mit LOFAR können wir erforschen, welche kosmischen Beschleuniger diese Teilchen erzeugen und was diese antreibt.“
Dr. Matthias Hoeft von der Thüringer Landessternwarte Tautenburg fügt hinzu: „Wenn Galaxienhaufen verschmelzen, entstehen riesige Stoßwellen. Mit LOFAR können wir deren Radioemission aufspüren und lernen dadurch viel über das Gas am Rand der gigantischen Galaxienhaufen.“

Ausblick
Die nun veröffentlichten Daten enthalten etwa zwei Prozent der mit LOFAR geplanten Beobachtungen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollen nun die gesamte nördliche Himmelskugel kartieren. „Zu den künftigen Entdeckungen werden auch die ersten, riesigen Schwarzen Löcher gehören, die das Universum formte, als es noch am Anfang war“, sagt Professor Dr. Huub Röttgering von der Universität Leiden in den Niederlanden. Professor Dr. Carole Jackson, Generaldirektorin von ASTRON, fügt hinzu: „Die Himmelskarte ist ein wunderbares wissenschaftliches Vermächtnis an die Zukunft.“

Hintergrund:
Deutschland ist neben den Niederlanden mit sechs Stationen der größte internationale Partner bei LOFAR. Die Radio-Teleskop-Stationen werden betrieben von: der Universität Bielefeld, der Ruhr-Universität Bochum, der Universität Hamburg, dem Max-Planck Institut für Radioastronomie in Bonn, dem Max-Planck Institut für Astrophysik in Garching, der Thüringer Landessternwarte, dem Astrophysikalischen Institut Potsdam und dem Forschungszentrum Jülich. Gefördert wird LOFAR in Deutschland von der Max-Planck-Gesellschaft, dem Bundesministerium für Bildung und Forschung, den zuständigen Ministerien der beteiligten Bundesländer, darunter das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, und von der Europäischen Union.

Weitere Informationen: 
•    Aufnahmen des LOFAR-Radioteleskops: www.lofar-surveys.org/gallery_preview.html
•    Ein Videobeitrag über LOFAR findet sich auf dem Youtube-Kanal der Universität Bielefeld: https://youtu.be/6z7BbpY1UeM

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