19. November 2024 / Aus aller Welt

Deutlicher Anstieg bei Straftaten gegen Frauen

Ob Bedrohung, Stalking im Netz oder versuchter Mord: Einer aktuellen Statistik zufolge gab es im vergangenen Jahr deutlich mehr Taten, die gegen Frauen begangen wurden, weil sie Frauen sind.

Gewalt gegen Frauen sei ein zunehmendes gesellschaftliches Problem, sagt Michael Kretschmer vom Bundeskriminalamt. (Symbolbild)

Nach aktuellen Daten sind immer mehr Frauen in Deutschland von Gewalt betroffen. So stieg etwa die Zahl der weiblichen Opfer von häuslicher Gewalt laut einer Auswertung des Bundeskriminalamts um 5,6 Prozent auf 180.715 im vergangenen Jahr. Im Jahr davor waren es noch 171.076. 

Die Zahlen gehen aus dem aktuellen Lagebild «Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten» hervor, das die beiden Bundesministerinnen für Frauen, Lisa Paus (Grüne), und für Inneres, Nancy Faeser (SPD), zusammen mit dem Vizepräsidenten des Bundeskriminalamts (BKA), Michael Kretschmer, in Berlin vorgestellt haben. 

Der Kernbefund: Auf allen Ebenen stieg im vergangenen Jahr die Zahl der erfassten Taten, die sich spezifisch gegen das weibliche Geschlecht richteten oder überwiegend Frauen betrafen. «Die Zahlen und Fakten zeigen, dass Hass und Gewalt gegen Frauen ein zunehmendes gesellschaftliches Problem sind», betonte BKA-Vizepräsident Kretschmer. Es ist das erste Mal, dass Daten zu geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen auf diese Weise erfasst und gebündelt werden. 

Häusliche Gewalt

Mit mehr als 180.000 Betroffenen im vergangenen Jahr ist häusliche Gewalt ein Schwerpunkt-Phänomen, das in den meisten Fällen (70,5 Prozent) Frauen und Mädchen betrifft. Von häuslicher Gewalt ist immer dann die Rede, wenn es sich um Personen handelt, die in einer partnerschaftlichen Beziehung zueinander sind oder waren oder wenn sich die Gewalt in der Familie abspielt. Die meisten weiblichen Opfer sind laut Statistik zwischen 30 und 60 Jahren alt und deutsche Staatsangehörige.

Bei partnerschaftlicher Gewalt sind knapp 80 Prozent der Betroffenen weiblich. Familienministerin Paus betonte, dass mehr als 11.000 Frauen monatlich Opfer von Gewalt in der Partnerschaft würden. «Das sind fast 400 am Tag.» Das tatsächliche Ausmaß dürfte noch größer sein. Bei partnerschaftlicher Gewalt gehen die Ermittler - ähnlich wie bei Taten im Internet - von einer hohen Dunkelziffer aus. 

Auch bei Sexualstraftaten zeigt der Pfeil der Statistik nach oben. 2023 wurden demnach 52.330 Frauen und Mädchen Opfer von Sexualstraftaten - und damit 6,2 Prozent mehr als 2022. Die Hälfte der Opfer war hier den Angaben zufolge jünger als 18 Jahre. Die Mehrheit der Tatverdächtigen (rund 65 Prozent) habe die deutsche Staatsangehörigkeit.

Das Internet als «Treiber» von Gewalt an Frauen

Ein weiterer Kriminalitätsschwerpunkt: das Internet. «Gerade im digitalen Raum werden Frauen immer häufiger angegriffen und angefeindet», sagte Kretschmer. Das Netz sei ein «Treiber». Mehr als 17.193 Frauen und Mädchen wurden laut Statistik im vergangenen Jahr Opfer von digitaler Gewalt, etwa von «Cyberstalking» oder anderen Delikten, die beispielsweise bei Aktivitäten in sozialen Medien begangen werden. 

Das entspreche einem Anstieg um 25 Prozent gegenüber 2022, in dem noch knapp 13.800 weibliche Opfer im digitalen Raum registriert worden waren. Im Fünf-Jahres-Verlauf hätten sich die Zahlen hier mehr als verdoppelt, erklärte Kretschmer weiter. 

Auffälliger Anstieg bei ausschließlich frauenfeindlichen Taten

Was er besonders hervorhebt: Die Zahl der Straftaten, die ausschließlich auf frauenfeindliches Gedankengut zurückgehen, stieg um mehr als 56 Prozent gegenüber 2022. Demnach wurden 322 Taten gegen Frauen erfasst, bei denen das Tatmotiv ausschließlich auf Vorurteilen gegen Frauen oder das weibliche Geschlecht basierte. 

Diesen Taten kommt dem Lagebild zufolge eine besondere Bedeutung zu, weil sie als Teil der politischen Kriminalität eingestuft werden - darunter Beleidigung (150), Volksverhetzung (46) und Nötigung oder Bedrohung (24). Im Jahr 2022 waren es noch 206 Straftaten dieser Art. Kretschmer verwies darauf, dass fast die Hälfte (45 Prozent) aller frauenfeindlichen Delikte, die unter diese Kategorie fallen, dem rechten Spektrum zuzuordnen seien.

Femizide

Besonders schwerwiegend sind versuchte und vollendete Tötungsdelikte, die sich explizit gegen das weibliche Geschlecht richten - sogenannte Femizide. Im Jahr 2023 wurden 938 Mädchen und Frauen Opfer von versuchten oder vollendeten Femiziden, ein Prozent mehr als 2022 (929). 360 Frauen und Mädchen starben dabei. Mit 1.050 Opfern von versuchten oder vollendeten Femiziden war im ersten Corona-Jahr 2020 ein Höchststand erreicht worden. 

Nach einem Rückgang im Jahr 2021 sei die Zahl aber wieder kontinuierlich gestiegen, hieß es. Von den Tatverdächtigen der Tötungsdelikte waren 84,6 Prozent männlich und 15,4 Prozent weiblich. Die meisten seien älter als 21 (89,7 Prozent) und hätten die deutsche Staatsangehörigkeit (68,2 Prozent), hieß es.

Maßnahmen zur Eindämmung der Gewalt

Frauenministerin Paus hat seit Amtsantritt immer wieder betont, dass sie effektive Maßnahmen gegen Gewalt an Frauen treffen wolle. Zugleich räumt sie mit Blick auf Frauenhäuser, Schutzeinrichtungen und Beratungsstellen ein: «Das Angebot reicht vielerorts bei weitem nicht aus.» 

Ihr Haus arbeite daher intensiv an einer ressortübergreifenden Gewaltschutzstrategie. Sie sei zuversichtlich, dass das Kabinett diese noch beschließen werde. Wichtig sei auch das Gewalthilfegesetz, das ihr Haus in enger Abstimmung mit anderen Ministerien, den Ländern und Verbänden erarbeitet habe. Auch hier hofft sie auf breite Unterstützung im Bundestag - die es nach dem Auseinanderbrechen der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP wahrscheinlich eher nicht geben wird. Dafür müssten wohl auch Teile der Union das Gesetz mittragen. 

Von dort kam am Dienstag aber vor allem eines: heftige Kritik. Der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Günter Krings, warf Paus und Faeser vor, den effektiven Schutz von Frauen in Deutschland versäumt zu haben. Das Bundeslagebild sei eine «Bankrotterklärung», schrieb er in einer Stellungnahme.


Bildnachweis: © Fabian Sommer/dpa
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